"Man kann nicht ganz Deutschland mit Eigenheimen zubauen" – Seite 1

Klimakrise, Artensterben, Ozeanverschmutzung: Bisher hat die Ökonomie die planetaren Grenzen und damit viele ökologische Probleme weitgehend ignoriert. Doch das ändert sich gerade rasant, Schlüsselbegriffe wie "Markt", "Wettbewerb" oder "Schulden" werden neu gedacht und neu bewertet. Das wiederum wird die Spielregeln der Wirtschaftspolitik radikal verändern. Im Rahmen eines Fellowships bei THE NEW INSTITUTE haben wir bei neun führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nachgefragt: Wie lässt sich die Wirtschaft-Natur-Krise lösen?

ZEIT ONLINE: Herr van Treeck, im Hamburger Norden sollen bald keine Eigenheime mehr gebaut werden dürfen – um dort die Natur zu schützen. Schränkt das die Freiheit der Menschen unzulässig ein?

Till van Treeck: Es schränkt sicherlich die Freiheit derer ein, die gern ein Eigenheim bauen wollen. Es erhöht aber die Freiheit derer, die die Fläche und die Materialien vielleicht gern anders verwenden würden – klimaschonender, kreativer, emanzipatorischer. Statt eines privaten Eigenheims könnten auf dem gleichen Platz vielleicht Wohn- und Gartenanlagen für viele Menschen entstehen. Unterm Strich könnte also durch das Verbot die Freiheit eher zunehmen.

ZEIT ONLINE: Das sehen viele anders. Die Entscheidung wurde vor ein paar Wochen heftig kritisiert, auch Politikerinnen und Ökonomen haben über Freiheitsentzug geschimpft.

Van Treeck: Es gibt nicht "die" Ökonom*innen. In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten ist das Nachdenken über Ökonomie, und damit auch über den Freiheitsbegriff, offener geworden, nicht zuletzt als Ergebnis der weltweiten Finanzkrise ab 2007 und der heute immer offensichtlicheren Klimakrise.

In den Jahrzehnten davor war der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften dagegen in einem bestimmten Sinne liberal oder gar libertär geprägt, entsprechend eng war das Verständnis von Freiheit. Und das wirkt bis heute nach. Freiheit wurde da einerseits – wie im Alltag – als Abwesenheit von Zwang begriffen. Anderseits aber war sie eng an das private Eigentumsrecht gekoppelt. Mit seinem Eigentum sollte man tun dürfen, was man will. Von vielen Ökonomen wurde deswegen jeglicher "Eingriff" in das Privateigentum mit der Begrenzung von Freiheit gleichgesetzt. Das aber ignoriert einen wichtigen Teil der Wirklichkeit.

ZEIT ONLINE: Welchen?

Van Treeck: Wenn man Privateigentum – also das Recht an einer Sache – mit Freiheit gleichsetzt, unterschlägt man den Freiheitsentzug derer, die das Recht an dieser Sache nicht haben. Die Freiheit der Eigentümer*innen zählt, die der anderen nicht. Oder um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Die Freiheit derjenigen, die sich ein Eigenheim im Hamburger Norden leisten können, zählt mehr als die der vielen anderen, die vielleicht gern über die Wiese laufen würden.

ZEIT ONLINE: Na ja, ist das nicht in einer Marktwirtschaft in gewissem Maße immer so, die einen haben etwas und es steht ihnen in gewissen Grenzen frei, damit etwas zu tun, und die anderen dürfen das eben nicht?

Van Treeck: Ja, aber man sollte das nicht mit Freiheit verwechseln, denn es stimmt nicht mehr mit dem Wert überein, um den es bei dem Begriff geht. Der politische Philosoph Jerry Cohen hat das klar herausgearbeitet, er nennt diese falsche Verknüpfung "die Inkonsistenz des rechtebasierten Freiheitsbegriffs": Das Recht an einer Sache wird fälschlich mit der Freiheit gleichgesetzt und die Unfreiheit derjenigen, die davon nichts haben, wird unterschlagen.

ZEIT ONLINE: Ein "Eigenheim für alle" könnte eine Lösung für das Problem sein, oder? Jedenfalls ist das die Politik dieser Bundesregierung, die durch das Baukindergeld und andere Fördertöpfe möglichst vielen Menschen zu einem eigenen Haus oder wenigstens einer Wohnung verhelfen will.

Van Treeck: Ja, eine klassische Antwort auf die Inkonsistenz des rechtebasierten Freiheitsbegriffs ist das Wirtschaftswachstum: Wenn beispielsweise die Menschen, die noch kein Haus haben, auch eines haben möchten, müssen wir eben mehr bauen – und so die vermeintliche Freiheit aller erhöhen. Dieses Prinzip stößt aber an Grenzen, wenn es um Güter geht, deren Angebot sich nicht ohne Weiteres ausweiten lässt. Das ist gerade bei Wohnflächen für Einfamilienhäuser in guter Lage und bei intakter Umwelt heute ziemlich offensichtlich. Man kann ja nicht ganz Deutschland mit Eigenheimen zubauen. Wer also eines hat oder baut, nimmt unweigerlich anderen die Freiheit, das auch zu tun. Die Standardökonomik kennt dafür den Begriff der Externalität: Das Handeln der einen hat externe Effekte für andere.

"Es können im Prinzip alle SUV fahren"

ZEIT ONLINE: Oder übersetzt: In einer endlichen Welt können nicht immer mehr Menschen in Eigenheimen wohnen.

Van Treeck: Ja, allerdings wird die Sache noch etwas komplizierter durch die sogenannten positionalen Güter, wie sie der Ökonom Fred Hirsch in seinem Buch Social Limits to Growth bezeichnet hat. Bei diesen Gütern geht es darum, den eigenen Status in der Gesellschaft zu demonstrieren, da geht es beispielsweise um SUV.

ZEIT ONLINE: Verkehrsminister Andreas Scheuer hat kürzlich erst gewarnt, die Grünen wollten den Menschen den SUV wegnehmen. Und wörtlich hat er gesagt: "Da geht es um unsere Freiheit."

Van Treeck: Man könnte zunächst tatsächlich versucht sein zu sagen, es ist Ausdruck von Freiheit, wenn einzelne Leute sich dazu entscheiden dürfen, solche riesigen Autos zu kaufen. Sie wollen die Freiheit haben, ihrem Geschmack zu folgen und sich im Straßenverkehr sicher zu fühlen. Doch selbst wenn man ignoriert, wie sehr diese Autos die Umwelt verschmutzen, wird man zugeben müssen, dass die Teilnahme dieser Autos am Straßenverkehr die Freiheit derer, die kleinere Autos oder Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen, reduziert.

ZEIT ONLINE: Wieso?

Van Treeck: Die großen Autos brauchen große Parkplätze, Platz ist aber in Städten begrenzt. Parkende SUV nehmen also anderen, kleineren Autos den Platz weg. Schlimmer noch aber ist, dass sie den Menschen, die zu Fuß oder per Rad oder Kleinwagen unterwegs sind, die Freiheit nehmen, bei einem Unfall nicht von riesigen panzerartigen Fahrzeugen "abgeschossen" zu werden.

ZEIT ONLINE: Sozialdarwinisten würden sagen: Sollen die sich doch auch ein großes und damit "sicheres" Auto kaufen.

Van Treeck: Und schon sind wir mitten in einer absurden Aufrüstungsspirale. Es können zwar im Prinzip alle SUV fahren. Hier liegt ein Unterschied zu den Eigenheimen im Grünen, für die es einfach nicht genug Platz gibt. Aber es können nicht alle überdurchschnittlich große Autos fahren! Letztlich ist der SUV ja vor allem dann sicher, wenn er größer und schwerer ist als die Fahrzeuge anderer Verkehrsteilnehmer*innen, wenn also deren Sicherheit geringer ist. Wenn alle so denken, haben am Ende alle größere Autos, es gibt weniger Parkfläche pro Auto und die Sicherheit im Straßenverkehr hat sich nicht oder kaum erhöht. Es gibt etliche Beispiele für Güter, die Gegenstand von positionalem Wettrüsten zulasten des sozialen Friedens und natürlich auch der Umwelt sind.

ZEIT ONLINE: Dass zu viele SUV schlecht für die Umwelt sind, ist klar. Aber warum sind sie auch noch schlecht für den sozialen Frieden? Lange Jahre wurde von vielen Ökonomen – und das waren tatsächlich fast ausschließlich Männer – das Gegenteil behauptet. Deren Erzählung ging in etwa so: Jeder Mensch hat die Freiheit, sich anzustrengen, Geld zu verdienen und dann das auch auszugeben, auch für nutzlos schöne Dinge. Der Tellerwäscher kann zum Millionär werden. Und das wiederum ist nicht schädlich, sondern spornt all die anderen eher an, sich auch mehr anzustrengen. So etwas macht eine Gesellschaft dynamisch und innovativ.

Van Treeck: Das ist eine sehr verkürzte Sichtweise, denn viele Ökonom*innen tun sich nach wie vor schwer, über die Statusdimension des Konsumverhaltens, über sogenannte positionale Externalitäten, nachzudenken. Andere Wissenschaften wie die Soziologie sind da weiter. Das ist ein Problem, weil damit auch die Folgen ignoriert werden, und die sind drastisch. Denn in ungleichen Gesellschaften passiert Folgendes: Wenn das Einkommen reicher Menschen schneller wächst, können sie sich auch vergleichsweise mehr kaufen. Während einkommensschwächere Menschen dadurch relativ zurückfallen, signalisieren Reiche noch deutlicher ihren sozialen Status. Und es steigen zusätzlich noch ihre Aussichten auf künftigen ökonomischen Erfolg.

ZEIT ONLINE: Wieso?

Van Treeck: Gerade in besonders "freiheitsliebenden" Ländern wie den USA muss gute Bildung, eine gute Gesundheitsversorgung, gutes Wohnen auf privaten Märkten teuer bezahlt werden: Schon die Wahl des Kindergartens oder der Privatschule fürs Kind ist Teil des Statuskonsums und ermöglicht dem Kind zugleich einen viel besseren Einstieg ins Berufsleben. Wenn die Ungleichheit steigt und die Reichen immer mehr für solche Güter ausgeben, können die Nicht-Reichen das entweder hinnehmen und damit auch ihren sozialen und wirtschaftlichen Abstieg zulassen. Oder sie versuchen, den Reichen nachzueifern, verzichten auf Ersparnisse und Freizeit und arbeiten viel, um bei den gestiegenen Konsumnormen wenigsten ein bisschen mitzuhalten.

ZEIT ONLINE: Und was hat das nun mit der Klimakrise zu tun?

Van Treeck: Bei hoher Einkommensungleichheit gibt es am oberen Ende der Verteilung starke Anreize, sehr viel zu arbeiten, um Karriere zu machen und dadurch weiter zu den Spitzenverdienern zu gehören. Mit diesen Spitzeneinkommen ist ein besonders hoher sozialer Status verbunden, aber eben tendenziell auch ein Konsumstil, der allein aus ökologischen Gründen nicht verallgemeinerbar ist. Wenn die Mittelschicht ebenfalls viel arbeitet, um mit den Konsumnormen der Reichen mitzuhalten, wird immer mehr produziert, also steigen die CO2-Emissionen. Man könnte auch sagen: Da entsteht ein Arbeits- und Wachstumszwang, weil viele Menschen sich nicht frei genug fühlen, auf Konsum zugunsten von Freizeit zu verzichten. Weil sie mithalten wollen und mithalten müssen.

"Es gibt zwei Wege, die CO2-Emissionen zu senken"

ZEIT ONLINE: Und was macht das mit den Menschen und der Gesellschaft?

Van Treeck: Weil viele Menschen das Gefühl haben, alles zu geben für ihre Karriere und das Wohl ihrer Familien, steigt die Zahl derjenigen, die mit wenig Freizeit, kaum Ersparnissen und hohen Schulden dastehen. Denn es ist in ungleichen Gesellschaften ja definitionsgemäß unmöglich, dass alle oder auch nur viele die beste Bildung erhalten, die sichersten SUV fahren und in der Einkommenspyramide oben stehen. Bei steigender Ungleichheit wird es immer schwieriger mitzuhalten. Frust und sozialer Unfrieden sind da programmiert.

ZEIT ONLINE: Wie würden Sie denn Freiheit – in Zeiten der Klimakrise – umschreiben? 

Van Treeck: Es gibt natürlich keine eindeutig richtige Definition von Freiheit. Für mich sollte Freiheit bedeuten, dass alle Menschen eine ausgezeichnete öffentliche Daseinsvorsorge (kostenlose Bildung, Gesundheit, Mobilität, günstiger Wohnraum) erhalten und dass Vollbeschäftigung und eine geringe Ungleichheit herrschen. Das wäre aus meiner Sicht die Voraussetzung für die Überwindung der konsumorientierten Kultur mit langen Arbeitszeiten und Streben nach hohen Einkommen. Nebenbei bemerkt wäre das auch die Voraussetzung für eine größere Gleichheit zwischen den Geschlechtern.

ZEIT ONLINE: Seit die Fridays-for-Future-Bewegung den Begriff "Generationengerechtigkeit" bekannt gemacht hat, bekommt Freiheit auch eine zeitliche Dimension. Es wird über Freiheit und Klimaschutz diskutiert und die Argumentation lautet dann: Wenn wir heute nicht schneller CO2 einsparen, dann gefährden wir die Zukunft und damit die Freiheit der Kinder. Wie diskutieren Ökonomen über dieses Problem?

Van Treeck: Zunächst einmal muss man festhalten, dass die Klimaziele der meisten Regierungen der reichen Länder inkompatibel sind mit dem Pariser Klimaabkommen, nach dem die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzt werden soll. Wenn man sich an Deutschlands Anteil an der Weltbevölkerung orientiert und auf dieser Grundlage nationale CO2-Budgets vergibt, bleiben Deutschland vielleicht noch maximal sieben Gigatonnen, wenn man sich an den Berechnungen des Weltklimarates (IPCC) orientiert. Bei jährlichen Emissionen von zuletzt circa 800 Megatonnen, können wir noch neun Jahre so weitermachen, bis unser Budget aufgebraucht ist. Wenn wir sofort anfangen, die Emissionen linear abzusenken, müsste Klimaneutralität Mitte/Ende der 2030er Jahre erreicht werden. Die Bundesregierung wollte sich aber eigentlich bis 2050 Zeit lassen. Fridays for Future und Klimaforscher haben seit Langem darauf hingewiesen, dass das zu spät ist. Mich hat oft überrascht, wie wenig Ökonom*innen ambitioniertere Ziele eingefordert haben.

ZEIT ONLINE: Das Bundesverfassungsgericht hat nun im April festgestellt, dass das deutsche Klimaschutzgesetz teilweise unvereinbar mit dem Grundgesetz ist…

Van Treeck: Ja, und interessanterweise hat das Bundesverfassungsgesetz den Beschluss, dass die Emissionen schneller gesenkt werden müssen, unter Verweis auf den Freiheitsbegriff begründet: Wenn wir nicht schneller unsere Lebens- und Produktionsweise ändern, bedeutet das eine umfassende Freiheitsgefährdung in der Zukunft. Das ist schon ein Paradigmenwechsel in der Debatte.

ZEIT ONLINE: Die bisher beliebteste Lösung der Ökonomen für die Klimakrise: der CO2-Preis. Wo ist das Problem?

Van Treeck: Es gibt, grob gesagt, zwei Wege, die CO2-Emissionen zu senken: sauberer produzieren oder weniger produzieren. Der CO2-Preis soll den ersten Weg ermöglichen. Durch die Besteuerung sollen Unternehmen und Verbraucher dazu gebracht werden, CO2-intensive Produktionsweisen und Konsumstile aufzugeben, aber im Großen und Ganzen soll unsere auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsweise unangetastet bleiben.

ZEIT ONLINE: Die Monetarisierung externer Effekte gilt in der Neoklassik als Königsweg – wo ist sie sinnvoll? Was ist daran falsch?

Van Treeck: Neben der Bepreisung von CO2 ist es nötig, über ergänzende Bausteine in einer Gesamtstrategie stärker zu diskutieren: Das wäre zum einen eine öffentliche Investitionsoffensive, die eine Reform der Schuldenbremse nötig macht. Aber zum anderen wären es beispielsweise Maßnahmen, die kürzere Arbeitszeiten und weniger Individualkonsum attraktiv machen. Die Vorstellung, dass sich mit der CO2-Besteuerung quasi alle Probleme lösen lassen und wir keinen Kulturwandel brauchen, läuft aus meiner Sicht auf einen unverantwortlichen, technischen Machbarkeitsoptimismus, verbunden mit kulturellem Konservatismus, hinaus.