Konrad-Wolf-Preis in Berlin: Wir verlangen zu handeln!

Am Sonntag ging Konrad-Wolf-Preis 2023 an Julian Assange, Aktivisten riefen dort zum Handeln auf

Ein Unterstützer von Julian Assange vor dem Supreme Court in London.
Ein Unterstützer von Julian Assange vor dem Supreme Court in London.

Eine Verleihung in Abwesenheit: Am Sonntagabend wurde in Berlin der mit 5000 Euro dotierte Konrad-Wolf-Preis an der Akademie der Künste verliehen. Der Preisträger ist der heute 52-jährige Julian Assange, der am Tag der Verleihung bereits 1655 Tage im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert ist. »We Open Governments – damit wir wissen«, erinnert die Jury an die Idee des Wikileaksgründers. Sie widmete Assange den Preis, weil er sich zum Ziel setzte, Regierungshandeln zu beleuchten, das sonst im verborgenen bliebe. Und das gelang.

Der Grund für die Inhaftierung von Assange liegt an diesem Abend noch deutlich länger zurück. 4948 Tage ist es her, dass am 5. April 2010 der 39-minütige Film »Collateral Murder« erschienen ist, der die Brutalität des Kriegshandelns im Irak in einer Weise zeigte, die bis zum damaligen Zeitpunkt kaum Verbreitung erfahren hatte.

Auch an diesem Sonntag im Jahr 2023 sind die brutalen Szenen eines Helikopterangriffs auf vermeintliche Gegner im Krieg, der am 12. Juli 2007 stattfand und tatsächlich Journalisten traf, schwer zu ertragen. Und doch entschieden sich die Organisator*innen der Veranstaltung dafür den Film zu zeigen. Denn noch perfider als die gezeigten Tötungen von 12 bis 18 Menschen, darunter der Reuters-Journalist Saeed Chmagh, sind die Folgen, die sich in den Jahren nach dem Beschuss in Bagdad für Assange ergaben.

Justiz entlarvt

»Zusätzlich aber hat Julian Assange auch die sogenannten Rules of Engagement – die Kriegsregeln – der US-Armee veröffentlicht«, hebt Stella Assange hervor. Seine Ehefrau und Anwältin ist erschienen und nimmt an diesem Abend den Preis entgegen. »Letztlich sind es Regeln, die ein Kriegsverbrechen legitimieren, denn das US-Militär hat in der Untersuchung des Vorfalls festgestellt, dass die Soldaten nichts falsch gemacht hätten und sich auch an die Regeln gehalten hätten«, erklärt Stella Assange.

Nachdem Assange und Wikileaks die US-Kriegstagebücher aus dem Irak und Afghanistan veröffentlicht hatten, gingen die US-Regierungen zu einem weiteren Krieg über: Gegen die Hinweisgeber. Chelsea Manning, die US-Soldatin, die diese Belege für Menschenrechtsverletzungen und zweifelhaft legitimierte Tötungen geliefert hatte, verbrachte mehrere Jahre Beugehaft in US-Gefängnissen und gelangte aufgrund der Haftbedingungen mehrfach an die Grenze zur Selbsttötung.

Ähnliches fürchten auch Assange und seine Unterstützer*innen. Der Grund: Ein Gerichtsprozess in den USA, an die Assange ausgeliefert werden soll, würde in einem Landstrich abgehalten, in dem Gerichte als vermeintlich unabhängige Jury hauptsächlich Regierungsbedienstete aus dem US-Militär, den US-Geheimdiensten oder Angestellten von Unternehmen bestellen würden, die mit dem US-Sicherheitsapparat zusammenarbeiten.

Auch in Großbritannien, wo Assange den Prozess gegen seine Auslieferung aktuell in letzter Instanz führt, ist das Rechtssystem offenkundig nicht darauf aus, einen Schauprozess, in dem dem Angeklagten 175 Jahre Haft drohen, zu verhindern.

»US-Präsident Joe Biden nennt ihn einen High-Tech-Terroristen. Assanges Versuch der Berufung gegen die gerichtlich bereits erfolgte Genehmigung der Auslieferung an die USA, ist abgelehnt«, so der Dokumentarfilmer Thomas Heise in der Laudatio zur Preisverleihung. »Das Schweigen der Bundesregierung dröhnt. Aber die Wunden bleiben offen.«

Im Foyer der Akademie der Künste zeigen die Organisatoren an diesem Abend einen rund zweiminütigen Videoausschnitt, in dem eine Regierungssprecherin mit vielen Worten wenig sagt und dabei eine eindeutige Positionierung vermeidet: »In den USA ist eine Entscheidung getroffen worden, die wir aus unserem Rechtsverständnis heraus anders sehen.«

Doch um Kritik an der Prozessführung in Großbritannien oder an den drohenden Zuständen bei der Auslieferung in die USA, drückt sich die Bundesregierung über die gesamte Verfahrensdauer. Selbst, nachdem der seinerzeit als UN-Berichterstatter für Folter eingesetzte Diplomat Nils Melzer die Haftbedingungen kritisiert und bei Assange Anzeichen für psychische Folter gefunden hatte, blieb die Bundesregierung bei ihrer Nicht-Positionierung.

Aktivisten wollen Druck

Weltweit setzen sich seit Jahren unterschiedliche Gruppen mit Mahnwachen und regelmäßigen Aktionen für die Freilassung von Assange ein. In einem Brief, der »nd« vorliegt, werben die Aktivist*innen für das Konzept der »friedlichen Bedrängung« und fordern beispielsweise Bundestagsabgeordnete dazu auf, in jeder Rede im Parlament einen Appell für die Freilassung von Assange unterzubringen. Zeitungen sollen an prominenten Plätzen im Blatt mit Zitaten von Assange auf seine andauernde Haft aufmerksam machen. »In der Hoffnung, dass sich das Blatt doch noch wendet und wir dem an Assange begangenen Unrecht nicht weiter zuschauen müssen«, schreibt Christian Deppe, Mitinitiatior der Kampagne »Stadtasyl für Julian Assange in Berlin.«

Die Gründe dafür, dass das Verfahren um die Auslieferung von Julian Assange seit Jahren mit Vehemenz geführt wird, erklärt Stella Assange mit den Gegnern der Wikileaks-Veröffentlichungen: »Das Ziel ist kein erfolgreicher Krieg, der gewonnen wird, sondern ein endloser Krieg.« Das schließe auch die Rüstungsindustrie ein, die an diesen Kriegen Milliarden verdiene. Wikileaks hat diese Verwicklungen öffentlich und nachvollziehbar gemacht, das haben die Laudator*innen am Sonntag in der Akademie der Künste abermals herausgearbeitet.

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