Um unseren Enkeln eine lebenswerte Welt übergeben zu können, müssen wir unsere Wirtschaft reformieren. – Foto: geralt/pixabay.com

Wirtschaft & Soziales

Auf dem Weg zu einem enkeltauglichen Wirtschaftssystem

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Die Weltbevölkerung lebt derzeit so, als hätte sie 1,6 Planeten Erde zur Verfügung, nutzt die Ressourcen 1,6 Mal schneller, als sich die Ökosysteme regenerieren können. Wir Deutschen leben dabei sogar so, also hätten wir 3 Planeten. Diese Entwicklung verschärft sich, denn Schwellenländer wie China holen gegenüber den westlichen Staaten gewaltig auf. Gegenwärtig leben auf der Erde fast 8 Mrd. Menschen, in 10 bis 15 Jahren rund 10 Mrd. – und die würden gerne auch so gut leben wie wir.

von Günther Brendle-Behnisch

 

Je mehr Menschen es sind und je mehr so leben wollen wie wir gegenwärtig, umso schneller fährt unser Planet in den Abgrund. Verteilungskämpfe, Kriege, unvorstellbare Flüchtlingsströme erscheinen unausweichlich. Extrem verschärft wird diese Entwicklung durch den rasanten Artenschwund, die Ausrottung vieler Tier- und Pflanzenarten bis hin zum Zusammenbruch ganzer Nahrungsketten und damit der Ökosysteme unseres Planeten. Und dazu noch die hereinbrechende Klimakatastrophe. Wir müssen also schnellstmöglich reagieren, die Überbevölkerung verhindern, stoppen, sogar dezimieren. Schaurige Szenarien aus der Vergangenheit, der Gegenwart und von oft von Verschwörungstheoretikern heraufbeschworenen Maßnahmen zur Dezimierung der Menschheit – Material für Hunderte von Horrorfilmen – tauchen am geistigen Horizont auf.

Man kann aber auch anders denken. Nicht: Alle wollen und werden so leben wie wir. Sondern: Wir müssen so leben wie diejenigen, die tatsächlich nur einen Planeten Erde verbrauchen. Nicht: Wir sind das Vorbild. Sondern: Wir müssen uns diejenigen zum Vorbild nehmen, die es schaffen, mit dieser einen Erde zurechtzukommen. Wenn wir das nicht alle schaffen, werden wir alle unter den oben beschriebenen Folgen zu leiden haben. Die gegenwärtigen Naturkatastrophen als Vorboten und Beginn der großen Klimakrise sollten uns als Mahnung dienen, endlich damit anzufangen.

Das klingt alles sehr nach Verzicht. Ist es auch. Unser Slogan „Weniger ist mehr!“ wurde auf unserem ersten Coburger Symposium von Jörg Sommer (Deutsche Umweltstiftung) gründlich entzaubert: „Weniger ist weniger! Und das ist gut so!“ Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Wir müssen aufhören, uns selbst ständig auszubeuten für ein bisschen mehr materiellen Wohlstand. Sonst werden wir durch die hereinbrechenden Katastrophen zu echtem Verzicht und wahrscheinlich großen Leiden gezwungen werden.

Wir haben nicht die Wahl zwischen einem „Weiter wie bisher“ oder „Verzicht“, sondern zwischen „Umorientierung“ oder „Verzicht und Leiden“. Wenn wir das einmal kapiert haben, wenn wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir uns umorientieren können, dass wir Wohlstand und Lebensqualität anders als rein materiell definieren können, dann haben wir für uns selbst das Schlimmste schon überstanden. Dann kommen wir auch mit zukünftigen Situationen gut zurecht, haben unsere inneren Grundlagen für eine enkeltaugliche Zukunft bereits geschaffen. Wie Mahatma Gandhi sagte: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier!“

Erkenntnisse des Wachstumskritik-Symposiums 2020

Im Symposium „Wirtschaft ohne Wachstumszwang“ hat auch die Veränderung der Lebensweise der Menschen in dem neu entworfenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem breiten Raum eingenommen. Die erste Erkenntnis: Wir selbst sind industrialisiert. Unser Denken und Handeln ist fast gänzlich den „Gesetzen der Marktwirtschaft“ unterworfen und diese quasi als Naturgesetz akzeptiert. Die vorgegebenen „Sachzwänge“ blockieren unsere Fantasie und ein Nachdenken über mögliche Alternativen. Es ist alles „alternativlos“ – und das macht uns fantasielos.

Auf dem Symposium haben wir diese Denk-Mauern durchbrochen und weitere Erkenntnisse gewonnen: Prof. Christian Kreiß referierte über verführerische Werbung, die den Wachstumszwang in unsere Hirne presst, uns völlig unnötige Produkte aufdrängt und deshalb verboten gehört. Daraus folgt eine Vielzahl von „Bullshit-Jobs“, die eigentlich völlig unsinnig sind. Und Arbeit, die keiner braucht und eigentlich gar nicht gemacht werden müsste. Und eine Vielzahl an Produkten, die wir uns besser sparen könnten.

Irmi Seidl stellte die Frage, was Arbeit eigentlich ist und ob wir uns wirklich nur über Erwerbsarbeit definieren müssen. Daraus folgt die Frage nach der Zeit, die wir uns sparen könnten. Und die wir dann zum Leben hätten, was uns einen anderen Lebensrhythmus ermöglicht, der unserer eigenen Natur mehr entspricht. Hier hat uns Fritz Reheis mit der Resonanzstrategie neue Impulse zum Einklang mit dem Rhythmus der Natur gegeben.

Allerdings, die innere Einstellung alleine genügt nicht. Sie ist eine Seite der Medaille. Die andere Seite – die der Wirtschaft und Gesellschaft – muss genauso verändert werden. Und das eigentliche Ziel muss klar sein: die Rettung des Planeten Erde als lebenswerter Lebensraum für die gesamte Schöpfung! Alles andere hat sich dem unterzuordnen! Wachstumskritik und damit eine wachstumslose Wirtschaft ist demzufolge aber nicht das Ziel, sondern Mittel zum Zweck, denn der gegenwärtige Wachstumszwang bewirkt die Zerstörung der Lebensgrundlagen unserer Schöpfung durch hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen, mithin alles dessen, was der Planet hergibt. Das muss unterbunden werden.

Die größte Bedrohung: die Klimakatastrophe. Deshalb muss hier auch am entschiedensten eingegriffen werden. Zur Bewältigung der Klimakrise brauchen wir die Energiewende als Sofortmaßnahme. Hier hinein müssen wir alle Anstrengungen legen, um die zukünftig benötigte Energie fossilfrei und letzten Endes emissionsfrei bereitzustellen. Die erste und für das Gelingen immens wichtige Aufgabe: Energie sparen. Dazu genügt nicht die Energieeffizienz alleine. Denn alles, was ich nicht brauche, muss nicht hergestellt und nicht transportiert werden.

Die zweite Aufgabe ist die Umstellung auf Fossilfreiheit. Wie Hans-Josef Fell darlegte, müssen wir mit Ökostrom um den Faktor 5 wachsen, d. h. enorm viel investieren. Die gesamte technische Infrastruktur dafür muss hergestellt werden. Das bringt in diesem Bereich ein ordentliches Wirtschaftswachstum und kostet Ressourcen – und stellt einen klaren Verstoß gegen die Prinzipien der Ressourcenschonung und eines Wachstumsstopps dar.

Das Einzige, was wir gegen den erhöhten Ressourcenverbrauch tun können, ist Recycling. Das nächste Arbeitsziel: diese Welt von all unserem Müll, der in sehr vielen Fällen auch Rohstoff ist, zu befreien und einer Wiederverwendung zuführen. Wir müssen wegkommen von der verbrauchsorientierten Wachstumswirtschaft hin zur Kreislaufwirtschaft. Dazu müssen aber unsere Ressourcen, d. h. neu gewonnene – neu ausgebeutete – Rohstoffe im Preis enorm steigen, denn Recycling ist teuer. Ökologisch ist aber das Ausbeuten neuer Rohstoffe noch viel teurer als Recycling. Wir müssen also die wahren Kosten ansetzen – dazu gehören auch die Kosten für den damit verbundenen Eingriff in die Natur. Und natürlich auch eine angemessene Bezahlung der Arbeiter und die Einhaltung sozialer Standards.

Recycling hilft, aber es wird nicht reichen. Das Mehr an Ressourcen und das Wachstum im Bereich der Energiewende kann nur – und auch das wiederum nur begrenzt – durch Einsparungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden. Hier hat uns Prof. Christian Kreiß den Weg gewiesen: die Vermeidung unnötiger Produkte, ein Verbot zumindest bestimmter Arten von Werbung, das Verbot von geplanter Obsoleszenz, also der eingebauten vorzeitigen Produktalterung bis hin zum programmierten Defekt. Das Vorschreiben einer Reparaturfreundlichkeit und möglichst vollständige Recyclingfähigkeit könnten einen hohen Anteil des Ressourcen- und Energieverbrauchs einsparen.

Weitere Maßnahmen sind die Vermeidung von „Bullshit-Jobs“, die Regionalisierung von Produktion überhaupt: Ein Produkt, das ich hier produzieren kann, soll auch hier produziert werden und nicht erst um die halbe Welt reisen müssen. Das stärkt außerdem die klein- und mittelständische Wirtschaft (KMU) und damit unsere gesamte Wirtschaftsstruktur. Denn über 99 % aller Betriebe in Deutschland sind klein- und mittelständisch organisiert, 75 % aller Arbeitnehmer arbeiten dort.

Freihandel, Finanzwirtschaft und Landwirtschaft

Weiterhin sind die gegenwärtigen sogenannten „Freihandelsabkommen“ sofort zu kündigen bzw. abzulehnen und stattdessen „Fair-Handelsabkommen“ abzuschließen mit hohen Arbeits- und Sozialstandards, hohen Produktstandards, unter Einbeziehung eines geschlossenen Lieferkettengesetzes zur Rückverfolgung und Kontrolle der Einhaltung der Standards und unter gegenseitiger Respektierung der Gestaltungshoheit (Demokratie) der jeweiligen Partner sowie des Schutzes der jeweiligen nationalen Landwirtschaft oder sensibler anderen Wirtschaftszweige. Kurz: die Vermeidung der Ausbeutung anderer Länder unter dem Vorwand des Freihandels, denn alles andere ist Freibeuterei.

Eine weitere zur Begrenzung des Wirtschaftswachstums eminent wichtige Maßnahme ist die Re-Regulierung der Finanzwirtschaft und die Kontrolle der Geldmarktpolitik durch den jeweiligen souveränen Nationalstaat. Wichtigste Instrumente dafür sind die Ausgabe frischen Zentralbankgeldes (im Gegensatz zum Buch- oder Giralgeld, das von den Banken ausgegeben wird) und die Abschöpfung durch Steuern. „Die Wirtschaft steuern durch Steuern“ ist zusammen mit gezielten Staatsinvestitionen und Gesetzen das bewährte Mittel, die Wirtschaft und Geldströme in eine gewünschte Richtung zu lenken.

Das Problem dabei sind die gegenwärtig völlig außer Kontrolle geratenen Finanzmarktsysteme. Dabei ist der Geschäftsbankensektor noch durch bestimmte Regeln für die Kreditvergabe (= Giralgeldschöpfung) einigermaßen steuerbar. Derzeit völlig unkontrollierbar wegen einer „nachhaltigen“ Deregulierung (auch so etwas kann „nachhaltig“ sein, deshalb Vorsicht mit diesem Begriff!) sind die Investmentbanken und vor allem außerbörsliche, meist internationale Finanzmärkte. Und die heizen das Wirtschaftswachstum gewaltig an, können staatliche Eingriffe schnell marginalisieren und eine echte Steuerung, wie wir sie für unsere Ziele dringend brauchen, zunichtemachen. Hier müssen wir energisch handeln und diese Märkte wieder unter Kontrolle bringen!

Zum Kapitel Landwirtschaft – genauer gesagt: zur Industrialisierung der Landwirtschaft. Der Sündenfall: „Wir müssen die Landwirtschaft fit machen für den Weltmarkt!“ Die Folge: Alles wird zu Produktionsfaktoren – Boden, Tiere, Pflanzen, Natur, Menschen. Alles wird „optimiert“, das Letzte herausgeholt für den Profit. Alles geht kaputt: Boden, Tiere, Pflanzen, Natur, Menschen. Da stehen wir momentan. Die Lösung: Wir müssen schnellstens weg von der Industrialisierung und brauchen dringend wieder so etwas wie eine Ernährungssouveränität, eine durchgängige Regionalisierung und das auf Basis einer biologischen Landwirtschaft. Und die braucht von uns faire Preise.

Zwischenfazit

Zur Klimarettung brauchen wir die Energiewende schnell und energisch. Wir brauchen damit aber mehr Ressourcen und die Wirtschaft wächst. Somit müssen wir an anderer Stelle einsparen: Recycling, Ressourcen hoch bepreisen, keine unnützen Produkte mehr produzieren, geplante Obsoleszenz verbieten, Reparaturfreundlichkeit und Recycelbarkeit gewährleisten. Dadurch werden aber die Produkte teurer und Arbeitsplätze fallen weg.

Der Verlust von Arbeitsplätzen bedingt aber höhere Ausgaben für den Staat. Nur: Durch Zurückdrängung der Marktmacht großer Konzerne sowie Re-Regulierung der Geld- und Finanzmärkte haben wir dann auch geringere Einnahmemöglichkeiten durch den Staat und müssen auf entsprechende Einnahmen verzichten. Andererseits können die KMU mit einer weitaus geringeren Kapitaldecke nicht beliebig gemolken werden.

Hier setzt nun das ein, was wir am Anfang unserer Betrachtungen festgestellt haben: Wir brauchen eine andere Sicht auf das, was wir Arbeit nennen. Wir können es sehen als Wegfall von Arbeitsplätzen und das beklagen. Wir können es aber auch sehen als Wegfall von Arbeit – in vielen Fällen sogar unnötiger Arbeit – und uns über die gewonnene Lebenszeit freuen und in dieser Zeit sinnvollere Arbeiten für uns, unsere Lieben und für die Gemeinschaft in Stadt, Land und Volk erledigen. Weg vom materiellen Wohlstand hin zum „Gemeinwohlstand“ und besserer Lebensqualität für alle.

Das Ganze hat nur einen Haken: Das Problem lässt sich in diese Richtung nur lösen, wenn jede/jeder dann noch genügend Geld hat, ihr/sein Leben zu finanzieren. Sonst heißt es: „Weniger ist nix mehr!“ Und spätestens an dem Punkt muss der Staat doch wieder helfen, und zwar entweder mit gezielten Maßnahmen, wie z. B. einem Mindestlohn von 13 Euro, einem sozialversicherungspflichtigen Erziehungs- und Pflegeeinkommen, einer Mindestrente über der Grundsicherung – oder einem wie auch immer gearteten bedingungslosen oder bedingungsvollen Grundeinkommen. Egal wie: Der Staat muss das erst einmal finanzieren können!

Und hier schließt sich der Kreis: Durch die nun wirksame Begrenzung des wirtschaftlichen Wachstums bekommt auch der Staat weniger Geld in die Kassen und Arbeitseinkommen fällt weg. Zumindest für die unteren Einkommensschichten muss aber der Staat weitaus stärker eingreifen und unterstützen, wird das aber – auch über erhöhte Steuern und Abgaben auf Ressourcen, fossile Energieträger, Ökosteuern, CO2-Steuern usw. – nicht hinbekommen.

Fazit

Wir müssen uns genau überlegen, wie – auch in welcher Reihenfolge – wir vorgehen wollen. Und wir brauchen alle: Geldmarkt- und Finanzwirtschaft müssen uns zur Finanzierung des Umbaus ebenso helfen wie die Realwirtschaft. Wir müssen sie für den Umbau gewinnen. Wir brauchen einen starken und von der Wirtschaft unabhängigen demokratischen Staat, der die Wirtschaft wirkungsvoll steuert, aber auch zur Sicherung der Einkommen und damit auch des Auskommens aller Menschen auf bescheidenerem Niveau bei Gebrauch (besser als „Verbrauch“) wirklich nur noch eines Planeten. Und wir brauchen schließlich jeden einzelnen Menschen. Das heißt: ein Umdenken und Umdefinieren von Arbeit, Wohlstand und Lebensqualität, damit auch wirklich alle mitkommen können auf dem Weg in eine enkeltaugliche Zukunft.