Vom Gendern zu politischen Rändern

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht spricht vieles gegen geschlechtergerechte Formen. Nüchterne Hinweise könnten die Debatte versachlichen.

Ewa Trutkowski 46 Kommentare
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Der Schuh ist ein Nomen mit maskulinem Genus. Über einen Sexus verfügt dieses Wort hingegen nicht – einer Schuhin werden wir in der deutschen Sprache niemals begegnen.

Der Schuh ist ein Nomen mit maskulinem Genus. Über einen Sexus verfügt dieses Wort hingegen nicht – einer Schuhin werden wir in der deutschen Sprache niemals begegnen.

Hannah Mckay / Reuters

Gendern, also die Nutzung sogenannter gendergerechter Sprache, kann als Konsequenz der Vermengung des Merkmals Genus mit dem Merkmal Sexus angesehen werden. Die Linguistin Elisabeth Leiss hat diese Vermischung bereits 1998 als «Sexualisierung bzw. Sexierung der Grammatik» gebrandmarkt. Aber die unter anderem auf Jacob Grimm zurückgehende Grundidee, wonach das natürliche Geschlecht (= Sexus) dem grammatischen Geschlecht (= Genus) vorausgeht, ist aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs kaum mehr wegzudenken, und spätestens seit einige Institutionen und Verwaltungen den Gebrauch gendergerechter Sprache vorschreiben, ist diese Diskussion in der Praxis auch jener Sprachverwender angekommen, die damit nie etwas zu tun haben wollten.

Objektiv betrachtet möchten die Verfechter einer genderneutralen Sprache nichts anderes, als alle nichtmännlichen Mitmenschen «zu Wort kommen» zu lassen. Der teilweise vehemente Einsatz für eine veränderte Sprachnorm speist sich vor allem daraus, sprachliche Ungleichheit mit sozialer Ungleichheit zu verknüpfen und letztere durch Umkehrung der ersteren eliminieren zu wollen. Das ganze Projekt ist also durchweg gut gemeint. Nur leider ist gut gemeint nicht gleich gut, denn die Befürworter des Genderns sitzen einigen Irrtümern und Fehleinschätzungen auf.

Die meisten davon sind in der eingangs erwähnten Vermengung von Genus und Sexus begründet, deshalb zur Klarstellung: Ein Genus haben nahezu alle Nomen und etliche Pronomen des Deutschen – dabei ist es unerheblich, ob das Bezeichnete belebt oder unbelebt ist. Man denke nur an den maskulinen Löffel, die feminine Gabel oder das neutrale Messer. Das Genus eines Nomens kann zwar regional schwanken (wie bei «die/der Butter»), aber generell sind Nomen genusfest.

Sexus hingegen ist, wie man an «Mensch», «Person» oder «Mitglied» sieht, kein obligatorisches Merkmal und über Wortbildungselemente wie «-erich» (in «Enterich») oder «-in» (in «Teilnehmerin») frei hinzufügbar. Es gibt Sexus auch nur in den Varianten männlich oder weiblich, und da er das biologische Geschlecht anzeigt, ist Sexus eine exklusive Eigenschaft belebter Entitäten – das schreibt schon Luise Pusch in einem Artikel aus dem Jahr 1980, in dem sie sich über eine potenzielle, aber eben nicht existente «Staubsaugerin» lustig macht.

Falsche Korrektheiten

Die «Staubsaugerin» zeigt uns, genau wie die «Motorin», dass sich das weiblichen Sexus anzeigende Suffix «-in» nur mit belebten Nomen verbinden kann. Wenn es jedoch nach den Sprachpflegern der Stadtverwaltungen in Hannover und Lübeck geht, ist eine Institution wie die Kirche nicht mehr als «Arbeitgeber», sondern als «Arbeitgeberin» zu bezeichnen und eine Stadt nicht mehr «Herausgeber», sondern als «Herausgeberin» eines Leitfadens für sogenannte gendersensible Sprache. Wortwörtlich heisst es darin: «Institutionen, die einen weiblichen Artikel haben, sollten grammatikalisch korrekt behandelt werden.»

Diese Anweisung zur Hyperkorrektheit lässt befürchten, dass die Macher der teilweise gleichlautenden Leitfäden von Lübeck und Hannover weder Linguisten noch Linguistinnen waren. Institutionen sind einfach keine belebten Entitäten, und insofern ist es auch keine Überraschung, dass ihre Sexualisierung der Intuition von Sprachnutzern widerspricht – die präferierte generische Form hingegen vermeidet den hier unangebrachten Bezug auf das natürliche Geschlecht.

Dass der Verweis des Lübecker Leitfadens (oder ist es eher ein Leidfaden?) auf grammatikalische Korrektheit im Grunde peinlich ist, stellt man spätestens dann fest, wenn man ihn weiterliest: «Bei Pronomen schleicht sich oft die männliche Form ein, doch auch hierfür gibt es kleine, unkomplizierte Lösungen.» Vorgeschlagen wird, «jeder/jede» durch «alle» oder «jemand» und «keiner» durch «niemand» zu ersetzen: Dumm nur, dass sowohl «jemand» als auch «niemand» Pronomen mit maskulinem Genus sind, was ungrammatische Sätze wie «Hier ist niemand, die sich auskennt» zeigen.

Unterschiedliche Assoziationen

Ein weiteres Argument, das immer wieder herangezogen wird, um die Notwendigkeit der Nutzung von Gendersprache zu belegen, ist der Verweis auf sogenannte Assoziationsstudien. Diese würden zeigen, dass Versuchspersonen bei maskulinen Nomen primär an männliche Individuen dächten und eine geschlechtsabstrahierende, generische Lesart dahinter zurücktrete.

Es wäre falsch und unwissenschaftlich, die Existenz von Assoziationseffekten zu leugnen: Dass Genus bestimmte, oft stereotype Assoziationen zum Sexus auslöst, kann man sprachübergreifend feststellen (so assoziierten italienische Probanden bei unbelebten Nomen mit «-a»-Endungen «lieblichere» Vorstellungen als bei welchen mit «-o»-Endungen), es fragt sich allerdings, warum daraus die Notwendigkeit zu gendern folgen sollte, denn ob Wortformen wie «Kosmetiker» oder «Lehrer» generisch oder spezifisch männlich interpretiert werden, hängt von vielen sprachlichen – und aussersprachlichen – Faktoren ab.

Man vergleiche etwa die Sätze «Ein Lehrer ging die Strasse entlang», «Ein Lehrer verdient ganz gutes Geld», «Hans und Maria sind Lehrer» und «Alle neu eingestellten Lehrer sind Frauen». Jeder Leser wird bemerken, dass die Wortform «Lehrer» von Fall zu Fall unterschiedliche Assoziationen auslöst. Doch Assoziationsstudien, die so differenziert vorgehen, gibt es nicht. Das zeigt einerseits, wie wenig wir noch wissen, aber andererseits auch, auf welch dünnem Eis sich viele Befürworter des Genderns bewegen.

Wer Assoziationsstudien als Beleg für die fehlende generische Lesart von Maskulina ansieht und daraus die Notwendigkeit des Genderns ableitet (Stichwort: Sichtbarmachung der Frau und diverser Menschen durch alternative Formen), überhöht den Einfluss der Sprache und weist ihr eine determinative Komponente zu, die sie nicht hat: Was in den Köpfen ist, muss nicht unbedingt in der Sprache sein, und andersherum – sonst könnten nur Sprecher des Deutschen verstehen, was «Schadenfreude» bedeutet, weil anderen das Wort dafür fehlt, und Länder mit genuslosen Sprachen, wie zum Beispiel die Türkei oder Ungarn, wären bei der Geschlechtergerechtigkeit am weitesten vorgedrungen – beides ist nicht zutreffend.

Zu glauben, durch eine veränderte Sprachnorm politische Versäumnisse heilen und soziale Realitäten umstülpen zu können, ist eine Illusion: Es werden nicht mehr Frauen in Lastwagencockpits steigen, wenn man fortan von «Lastwagenfahrenden» oder «Lastwagenfahrerinnen und Lastwagenfahrern» spricht, solange zukünftige Kapitäninnen der Landstrasse das Steuer nicht selbst in die Hand nehmen wollen.

Keine friedliche Koexistenz

Im Übrigen wird oft vergessen, dass Gendern eine Sprachhandlung ist, die sich aus der Überzeugung ableitet, das Maskulinum habe keine generische Bedeutung. Wer gendert und eine maskuline Form benutzt, kann folglich nur die spezifisch männliche Lesart im Sinn haben. Diese triviale Konsequenz wird jedoch von den wenigsten zu Ende gedacht, denn sie bedeutet, dass sich generische Lesart des Maskulinums und Gendern gegenseitig ausschliessen.

Die «friedliche Koexistenz», also das gelegentliche Einstreuen von «*in»-Formen, wie es zum Beispiel Claus Kleber im ZDF-«Heute-Journal» praktiziert, ist ein logischer Widerspruch: Wer gendert, entledigt das Maskulinum seiner generischen Bedeutung – wo «Expert*innen» sind, sind «Experten» nur Männer. Hier gibt es kein Ab-und-zu und Von-Fall-zu-Fall, sondern nur ein Ganz-oder-gar-nicht.

Ungeachtet aller vorgebrachten Argumente liesse sich nun einwenden, es sei einfach ein Gebot der Höflichkeit, Menschen gendersensibel anzusprechen. Aber ist dieser sich oft moralisch kleidende Impetus wirklich ein alltagstaugliches Argument? In der Praxis ist die Faulheit ja doch stärker als die Moral, und umständliche Gender-Formulierungen widerstreben nun einmal sprachlichen Ökonomieprinzipien. Auch dass ausgerechnet die unmarkierte, oft kürzere maskuline Form und nicht die feminine Form die generische ist, zeugt von sprachlicher Ökonomie.

Daher sei hier die folgende Prognose gewagt: Ob (dynamischer) Unterstrich, Genderstern, Binnen-I, Doppelpunkt, Beidnennung oder generisches Femininum – nichts davon wird sich in der Sprachgemeinschaft durchsetzen, denn nicht die Schaffung, sondern die Vermeidung unnötiger Komplexität ist eine der Haupttriebfedern für Sprachwandel. Man schaue sich zum Vergleich den Gebrauch des Konjunktivs und mancher Tempusformen an: Wer ausser emsigen Deutschlernern weiss überhaupt, dass Formen wie in «Maria sagte, dass du gegangen sein werdest» existieren? So schön es auch wäre, wenn es klappte, sie zu benutzen – in der sprachlichen Realität gelingt es einfach nicht.

Schon allein aus diesem Grund sollten wir das generische Maskulinum nicht ablehnen, denn keine geschlechtergerechte Form ist so ökonomisch wie praktikabel. Das zeigt sich zuvorderst daran, dass die Vorgaben des Hannoverschen Leitfadens nicht einmal auf der Website der Stadt umgesetzt werden, wo nach wie vor von einem Bürger-Service oder Künstlern und Veranstaltern die Rede ist. Denkt hier wirklich jemand, dass nichtmännliche Personen dadurch ausgeschlossen werden? Wohl kaum.

Aus diesem Grund sollten sich alle, die das generische Maskulinum gern abschaffen möchten, die Frage stellen, ob ein Verzicht auf die Sexus-Suffixe «-in» und «-erich» letztlich nicht klüger wäre. Es würde zwar eine Verarmung der deutschen Sprache bedeuten, wer aber das Sexistische bekämpfen möchte, sollte beim Sexus und nicht beim Genus anfangen.

Moralische Aufladung

Was die Diskussion um das generische Maskulinum und gendergerechte Sprache am meisten vergiftet, ist jedoch nicht der Kampf um die besseren Argumente im akademischen Diskurs, sondern deren politische Anheimstellung. Es ist deprimierend, zu beobachten, wie wissenschaftliche Debatten durch moralisierende und politisierende Rekurse geistig enthauptet werden. So auch hier: Wer gendert, ist lieb und links. Wer es nicht tut – und auch nicht tun will –, böse und rechts.

Natürlich, Gendern polarisiert, und es gibt hier keinen leisen Mittelweg, auch nicht über die Vermeidung generischer Maskulina durch eine semantisch widersinnige und in den meisten Fällen ziemlich lächerliche Flucht in die Partizipbildung (die «Mitarbeitenden», «Verkaufenden» und «Studierenden» lassen schön grüssen). Doch war Gendern bisher ein Signet selbstverantwortlicher politischer Verortung, bekommt der, der es nicht tut, mittlerweile auch einen Stempel aufgedrückt. Grund hierfür ist die mit einer überheblichen Gerechtigkeitsattitüde vorangetriebene Institutionalisierung der Gendersprache durch Parteien, Verwaltungen und Universitäten (keine, die keinen Leitfaden hat) – wer sich nicht beugt, gerät schnell unter Verdacht.

Das mag die Rechte freuen, doch am meisten freut es diejenigen, welche schon immer der Meinung waren, Gendern mache sie zu moralisch besseren Menschen. Auch einige Linguisten möchten sich, wie es scheint, hier einreihen: Sie verlinken die Kritik an Gendersprache mit traditionellen Gesellschaftsvorstellungen und weisen denjenigen, die sich aus was für Gründen auch immer gegen die Verwendung sogenannter gendergerechter Sprache aussprechen, implizit ein Plätzchen in der politisch konservativen bis rechten Ecke zu. Mit intellektueller Differenziertheit oder gar Wissenschaft hat das nicht viel zu tun, aber es passt zu der allgemeinen Tendenz, Wissen durch Haltung und Erkenntnis durch Betroffenheit zu ersetzen.

Ewa Trutkowski ist promovierte Sprachwissenschafterin und arbeitet zu verschiedenen Schnittstellenphänomenen des Deutschen. Sie ist Lehrbeauftragte an der Humboldt-Universität zu Berlin und ab kommendem Semester wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Bozen.

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Rolf Eicken

Den Genderverfechter geht es nur in zweiter Linie um die Sprache. In Wirklichkeit geht es um eine links-feminine Ideologie, die in allem Männlichen "das Böse" sieht und das ausgemerzt gehört. Das dabei hauptsächlich Schwachsinn heraus kommt, ist den Protagonistinnen des Genderwahns egal. Ideologien, falls sie nicht zuende gedacht sind, verblöden!

H. J. A.

"Es ist deprimierend, zu beobachten, wie wissenschaftliche Debatten durch moralisierende und politisierende Rekurse geistig enthauptet werden." Ich fühle mich verstanden. DANKE! Mein Tag ist gerettet.

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